Donnerstag, 11. März 2010

Rhetorik: zweifelhafte Mehrabian-Studie

Von Stimmtrainern und manchen Rhetoriklehrern wird sie immer wieder gern zitiert: eine Studie des amerikanischen Psychologen Albert Mehrabian aus dem Jahr 1967, aus der angeblich hervorgeht, dass wir bei Auftritten vor Gruppen 55 % unserer Wirkung mit der Körpersprache erzielen, 38 % mit der Stimme und nur 7 % mit dem Inhalt, also den Worten. Hier ein Beispiel für solche Zitate.
Und hier ein aktuelles Beispiel auf business-wissen.de (Mai 2012)

Diese Interpretation hat sehr wenig mit dem zu tun, was Mehrabian damals wirklich gemessen hat.
Er hat gemessen, wie Menschen auf persönliche Botschaften wie "Ich mag dich" und "Ich mag dich nicht" reagieren, wenn sie einen Widerspruch zwischen den gesprochenen Worten und den Gesten oder der Stimme wahrnehmen (also etwa: Jemand sagt "Ich mag dich", vermeidet aber den Blickkontakt). In solchen Fällen glauben sie offenbar mehr der Gestik oder Stimme als den ihr widersprechenden Worten.

Über die Wirkung von sachlichen Vorträgen, Verkaufsgesprächen u. ä. sagt die Studie überhaupt nichts aus, und auch nichts über den gewöhnlichen Fall, in dem Gestik, Stimme und Worte weitgehend die gleiche Botschaft überbringen. Geht man gedanklich etwas tiefer auf die Testsituationen ein, büßt die Studie noch weiter an Aussagekraft ein. Denn Mehrabian hat offenbar nicht differenziert, ob die negative Wirkung einer Botschaft auf der negativen Geste beruhte oder auf dem Widerspruch zwischen Worten und Gestik. Der Widerspruch an sich kann ja beim Empfänger negative Gefühle auslösen. Wie wirkt z. B. der umgekehrte Fall: Jemand lächelt dich freundlich an und sagt dazu: "Was willst du hier? Geh nach Hause!" Wenn Körpersprache wirklich das Sagen hätte, müsstest du so einen Auftritt nett und sympathisch finden.

1 Kommentar:

  1. Lieber Herr Korff,

    vielen Dank für die konstruktive Kritik.

    Tatsächlich kritisieren viele Experten das Studiendesign Mehrabians. Ich muss gestehen, dass ich mir die Studie nicht im Detail angesehen habe, sondern mich auf die Quelle "Johannes Stärk, Selbstpräsentation. Crashkurs! 2011" bezogen habe. Auch Stärk geht kurz auf diesen Aspekt ein und ich habe das in meinem Artikel nun ebenfalls aufgegriffen.

    Eine Methodenkritik schließt sich an jede durchgeführte Untersuchung an und die Frage nach der praktischen Relevanz ist immer zu hinterfragen.

    Herzliche Grüße

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Vielen Dank für Ihren Kommentar! Ich schalte ihn in Kürze frei, wenn er zum Thema des Artikels passt.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Jürgen Korff